aviso 1 | 2018
SKIZZE UND IDEE
COLLOQUIUM
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DIE GATTUNG DER ENTWURFSZEICHNUNG
gibt sich demgegenüber
sehr viel individueller. Die Vorzüge der digitalen Zeichnung scheinen im
Entwurf ein zu enges Korsett zu sein und zu determiniert auf ein maß-
lich definiertes und konkretes Ergebnis, welches im Entwurfsprozess
aber noch hauptsächlich aus Grundzügen und Andeutungen besteht.
Die flüchtige Handzeichnung bietet die Möglichkeit, sich ohne techni-
sche Einschränkungen auf den Prozess der Materialisierung einzulas-
sen. Begonnen wird mit nichts weiter als der vagen Vorstellung. Bereits
im Entstehen wird korrigiert und revidiert. Diese Art von Zeichnung
kann metaphorisch am besten im Vergleich mit dem gesprochenen
Wort anschaulich gemacht werden. Auch die Entwurfszeichnungen
haben klaren Werkcharakter und sind als prozessuale, aber zweckge-
bundene Darstellungen dem eigentlichen Ziel eines projektierten Bau-
werks verpflichtet.
DAS SKIZZENBUCH
lässt schon allein durch seine äußere Form, aber
auch durch die dargestellten Inhalte auf eine deutlich andere mediale
Funktion schließen. Das Skizzenbuch bietet einen geschützten Raum,
der in der Regel allein für den Verfasser gedacht ist. Ein Heraustren-
nen einzelner Zeichnungen zu Präsentationszwecken würde die Zer-
störung der Folgeseiten, wenn nicht sogar des ganzen Buches, bedeu-
ten und ist somit nicht vorgesehen. Die Benutzung des Skizzenbuches
ist also für ein Stadium gedacht, in dem der Zeichner sich selbst noch
als Suchender begreift. Die sukzessive Materialisierung einer zunächst
vagen Vorstellung bietet die Möglichkeit der visuellen Auseinanderset-
zung mit den eigenen Gedanken. Um erneut das Bild der »Sprache des
Architekten« zu bemühen, entspräche das Zeichnen in einem Skizzen-
buch der Bewältigung eines inneren Konflikts, mit anderen Worten
einem Selbstgespräch.
Tatsächlich finden sich in den Skizzenbüchern der Architekten aber
nicht nur Zeichnungen, die mit einer konkreten Entwurfsaufgabe
zusammenhängen, sondern Objekte und Orte, die scheinbar rein gar
nichts mit der Arbeit am eigenen Werk zu tun haben. Die Auswahl der
Objekte, Orte, Kontexte, Ausschnitte, Bildprogramme, Epochen und
Stile scheinen ohne Bezug wahllos zusammengestellt. Die Zeichnun-
gen entstehen alle »prima vista« und es findet keine Nacharbeit oder
eine Überführung in ein endgültiges Ergebnis wie Reinzeichnung,
Druck, Gemälde oder gar Bauwerk statt. Die Arbeit an diesen Zeich-
nungen, der hohe zeitliche Aufwand und die professionelle Ausfüh-
rung sind ohne Sinn und Zweck, also ohne Bewältigung einer Aufgabe,
kaum zu erklären. Vergleiche mit anderen Professionen oder vergan-
genen Epochen helfen nur bedingt weiter. Die Ziele eines Künstlers,
eines Forschungsreisenden, Botanikers, Geographen oder Völkerkund-
lers sind offensichtlich gänzlich andere als die eines Architekten. Der
Blick in vergangene Arbeitspraktiken von Architekten, in denen bei-
spielsweise Bauaufnahmen vor Ort zunächst händisch im Skizzen-
buch erfolgt sind oder Baustilkunde, Ornament, Staffageobjekte oder
Naturstudien für eine spätere Verwendung auf Vorrat gesammelt wurden,
lässt das Zeichnen im Skizzenbuch als zeitgemäße Kulturtechnik obsolet
erscheinen. In Bezug zu den Denkweisen und Praktiken des Architektur-
entwurfs lassen sich jedoch immer wiederkehrende Parameter festma-
chen, durch welche die Heterogenität der Einträge einen übergeordne-
ten Zusammenhang bekommt. Es ist die Auseinandersetzung mit dem
Kernthema der Architektur, demRaum, als prinzipielles und zeitloses
Bindeglied aller Eintragungen. Die Betrachtung des eigentlich konkre-
ten Themas kann durchaus auch auf abstrakter Ebene erfolgen. Bereits