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Über, in und um die Künste –

Nora Gomringer meint

Kunst! Du!

Kunst! Du!

Foto: Judith Kinitz

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich tippe auf einer Tastatur, die Welten entfernt ist vom

Beginn aller Schreibtechniken, vom Kratzen, Malen und

Meißeln. Und doch hämmere ich ganz schön auf meine

Tastatur ein. Genug, um manchen in der ruhigen Biblio-

thek zumir blicken zu lassen. Ich könnte meinen Rechner

auf Spracherkennung umstellen und wäre dann im Reich

der Künstlichen Intelligenz angelangt. Mein Tippen ist

nämlich eigentlich Mechanik verheiratet mit Elektronik.

Aber Spracherkennung, visuelleWahrnehmung, das Tref-

fenvonEntscheidungenunddasÜbersetzenvonSprachen

gelten alsmenschlicheMeisterleistung,mittlerweile aller-

dings nachgeahmt und teilweise übertroffen von Compu-

tersystemen. WoMaschinenMenschen ersetzen können,

entsteht ein horror vacui, der gar nicht so »vacui« ist: eine

Grauzone für ethischeFragen,moralisch verantwortliches

Handeln, für wirtschaftlichen Erfolg und große W-Fra-

gen für die Menschheit, die zwar eifrig erfindet und eben

»macht, was geht«, aber auch leidet, wenn sie sich selbst-

verschuldet in Unmündigkeiten begibt, in ungeahnte,

skandalöse, verzweifelt machende. Der Rechner meines

Freundes erkennt ihn amGesicht. So wie ich ihn, dazu an

seiner Art, sich zu bewegen, seiner Stimme, ich erkenne

ihn an seinen Händen und seinem Körper, ich erkenne

ihn an seiner Kleidung, seinem Duft, seinen Interessen.

Ich erkenne ihn an meinen Gefühlen für ihn. Für mich ist

er so viel mehr als die Symmetrieformel seines Gesichts.

Der Rechner erkennt ihn nicht, wenn er seine Brille trägt,

dabei steht die ihm so gut. »KI« ist in der Literatur im

Genre der Sci Fi aufgehoben, dabei steckt sie bereits tief

indenSchöpfungenZeus‘, aus dessenKopf TochterAthene

geboren wurde, denn eine nicht »natürliche« Intelligenz

ward geboren. Auch Ausflüge des Dr. Frankenstein in die

Totenhäuser Ingolstadts, um dort Leichenteile zu sam-

meln, die vernäht und durch Elektrizität statt göttlichem

Funken, Odem, whatever, neues Leben entstehen lassen,

das »künstlich« zu nennen ist, weil die »Natur« nur be-

dingt beteiligt war. 

Denmeisten von uns wird »KI« entweder in Form furcht-

einflößender Terminatoren oder zauberhafter, kindlich

wirkender Roboter à la Spielberg präsentiert. In »Her«

ist es eine körperlose Stimme, eine Sirene, die einenMann

in sich verliebt macht, in ihre »Alexa-Haftigkeit«, ihre zu-

traulicheFärbung, ihr nachfragendes Interesse, ihr intimes

Wissen über ihren Zuhörer. Die intelligentenMaschinen

wissen von uns, was wir ihnen eingeben und doch wissen

sie auch immer etwas mehr, prozessieren es in ihrem In-

neren zu neuen Ergebnissen. Mein Rührgerät ist nicht so,

es rührt nur, wie meine Tastatur gehorcht und den ange-

tipptenBuchstaben ausführt. Je nachdem, was uns berührt

am Mythos Maschine, ist Furcht, Mitleid oder eine un-

behagliche Mischung beider Gefühle. Sie merken schon,

dass ich IhnenkeineMeinungpräsentiere, nur aufschreibe,

was der Begriff aushält. Denn bin ich nicht die Erste, die

ein schlaues Auto schätzt, ein Haus, das mich mit Wärme

erwartet, die ich per Handy auf Grade genau anwählen

konnte, eine moderneMedizin, die über Grenzen hinweg

virtuell aufklärenund auchheilenkann? Ichbin ambivalent

eingestellt zur Künstlichen Intelligenz in Zeiten, in denen

es an der natürlichen Variante doch so fehlt, die uns un-

bedingt dasKlima schützen ließe, denke ich und stellmich

freitags dazu.

Nora Gomringer

Nora-Eugenie Gomringer, Schweizerin und Deutsche, lebt in Bamberg.

Sie schreibt, vertont, erklärt, souffliert und liebt Gedichte. Alle

Mündlichkeit kommt bei ihr aus dem Schriftlichen und dem Erlausch-

ten. Sie fördert im Auftrag des Freistaates Bayern Künstlerinnen

und Künstler internationaler Herkunft. Dies tut sie im Internationalen

Künstlerhaus Villa Concordia. Und mit Hingabe.

nora-gomringer.de