Kunst und Kultur trotzen Corona Ausgrabung mit dem Mikroskop: Der „Fürst“ von Otzing

Bergung des Keltengrabes in Otzing 2011. Gesamtsituation, Röntgenphotographien, Teilfreilegung der Keramik, Analyse der Gewebematerialien (Fotos: Archäologische Staatssammlung München (ASM), E. Blumenau, Dr. E. Claßen,  St. Gussmann, St. Friedrich, Chr.  Mazzola)
Bergung des Keltengrabes in Otzing 2011. Gesamtsituation, Röntgenphotographien, Teilfreilegung der Keramik, Analyse der Gewebematerialien (Fotos: Archäologische Staatssammlung München (ASM), E. Blumenau, Dr. E. Claßen, St. Gussmann, St. Friedrich, Chr. Mazzola)

Ein komplett aus der Erde geborgenes Grab eines Keltenfürsten unter Laborbedingungen wurde restauriert. Nach der Generalsanierung wird es ab 2023 eine Hauptattraktion in der neuen Dauerausstellung der Archäologischen Staatssammlung sein.  

Bernsteinperle aus dem Grab von Otzing (Foto: ASM, St. Friedrich)
Bernsteinperle aus dem Grab von Otzing (Foto: ASM, St. Friedrich)

In den Restaurierungswerkstätten der Archäologischen Staatssammlung wurde in den letzten Jahren ein reiches Grab der frühen Keltenzeit (660-620 v. Chr.) aus Otzing, Lkr. Deggendorf, Niederbayern restauriert. Der Grabfund ist in seiner Erhaltung in Mitteleuropa einzigartig. Durch eine komplizierte und aufwändige Restaurierung wurden die Überreste des Grabes komplett konserviert. Detaillierte Analysen ermöglichen mit Hilfe naturwissenschaftlicher Untersuchungen einen lebendigen Blick in eine 2700 Jahre zurückliegende Lebenswelt.

Die Story im Detail - Die Ausgrabung

Entzerrte Senkrechtaufnahme der Grabkammer: Geschirrsatz (l.), Tierknochenreste (Speisebeigabe) (m.), Reste des Skelettes (r.) (Foto: Kreisarchäologie Deggendorf, Fa. ARCTEAM)
Entzerrte Senkrechtaufnahme der Grabkammer: Geschirrsatz (l.), Tierknochenreste (Speisebeigabe) (m.), Reste des Skelettes (r.) (Foto: Kreisarchäologie Deggendorf, Fa. ARCTEAM)

Archäologische Ausgrabungen in Bayern werden fast immer durch Baumaßnahmen ausgelöst. Im Juli 2011 wurde bei der Anlage eines Sportplatzes neben vorzeitlichen Siedlungsspuren Gräber der frühen Keltenzeit entdeckt. Die Ausgrabungen leitete der Kreisarchäologe Dr. Karl Schmotz. Eine ungewöhnlich große Grabgrube war von einem Kreisgraben umgeben. Dieser begrenzte einen über dem Grab aufgeschütteten Grabhügel, der über Jahrhunderte hinweg vollständig durch den Ackerbau eingeebnet wurde.

Bei der Freilegung der 13 m2 großen Grabgrube entdeckte man, dass im Bereich der Bestattung wohl  tausende kleiner Bronzefragmente lagen. Eine konventionelle Bergung ohne Zerstörung des äußerst komplizierten Zusammenhanges war nicht möglich. Man musste das Grab daher vollständig bergen, um es unter optimalen Bedingungen in den Restaurierungswerkstätten freilegen zu können.

Wie holt man ein komplettes Grab aus der Erde?

Der Block im Bildhintergrund ist vollständig verschalt und transportfähig, beim Block im Bildvordergrund werden Stück für Stück Bodenbretter eingeschoben (Foto: ASM, St. Gussmann)
Der Block im Bildhintergrund ist vollständig verschalt und transportfähig, beim Block im Bildvordergrund werden Stück für Stück Bodenbretter eingeschoben (Foto: ASM, St. Gussmann)

Archäologische Funde können mit der umgebenden Erde als Block geborgen werden. Hierzu muss man zunächst die bereits freigelegte Oberfläche sichern und mit einer festen Schicht aus Gips überdecken. Dann wird der Block seitlich senkrecht abgegraben und mit einer Bretterverschalung umgeben. Zuletzt muss ein Boden darunter geschoben werden.

Das Grab von Otzing wurde zur Bergung in zwei Blöcke geteilt. Bei dem kleineren Block mit der Keramik wurde hydraulisch eine Stahlplatte daruntergeschoben. Der größere Block, der den Bereich mit dem Skelett und den unzähligen Bronzeobjekten enthielt, wurde Stück für Stück untergraben und mit einzelnen Brettern von unten geschlossen. Das Gewicht des großen Blocks betrug etwa 4 Tonnen.

Im Restaurierungsatelier angekommen

Februar 2012: Die dunklen Bereiche zeigen Zonen an, in denen sich durch die Metallkorrosion auch organische Materialien gut erhalten haben (Foto: ASM, St. Gussmann)
Februar 2012: Die dunklen Bereiche zeigen Zonen an, in denen sich durch die Metallkorrosion auch organische Materialien gut erhalten haben (Foto: ASM, St. Gussmann)

Nach Abnahme der Oberflächenverschalung wurde die oberste Schicht abgetragen, um eine erste Gesamtübersicht der unterschiedlich verteilten Objekte zu bekommen. Im Bereich der Metallobjekte waren noch organische Reste erhalten, da das darunterliegende Metall durch seine Korrosionsprodukte eine vollständig biologische Zersetzung verhinderte.

Dieser erste Schritt diente auch dazu, ein Konzept für die Gesamtfreilegung zu finden. In kleinen Ausgrabungsfenstern konnte man eine sehr gute und komplizierte Gesamterhaltung feststellen. Daher wurde beschlossen, den Block als Gesamtes zu erhalten und die schichtweise Freilegung sorgfältig zu dokumentieren. Allerdings musste man feststellen, dass die ursprüngliche etwa 1 m hohe Grabkammer nach Ihrem Einsturz auf eine Höhe von 5 cm komprimiert wurde.

Ein Blick unter die Erde

April 2013: Ein aus verschieden Einzelaufnahmen zusammengesetzte Röntgenbild gibt einen ersten Einblick ins Innere (Foto: ASM, St. Gussmann)
April 2013: Ein aus verschieden Einzelaufnahmen zusammengesetzte Röntgenbild gibt einen ersten Einblick ins Innere (Foto: ASM, St. Gussmann)

Röntgenaufnahmen sind für Restauratoren ein wichtiges Hilfsmittel, um bei Freilegungen ins Innere von Objekten oder auch ganze Erdblöcken sehen zu können. Der große Block von Otzing war nach der Bergung noch zu dick, die Röntgenstrahlen konnten ihn nicht vollständig durchdringen. Er musste daher erneut abgedeckt und einer Spezialsäge horizontal durchschnitten werden, so dass nur noch sehr wenig Erdreich unter den Funden verblieb. Aus vielen einzelnen Aufnahmen konnte nun ein Mosaik zusammengesetzt werden, das einen ersten Eindruck der unzähligen Metallteile gab. Besonders beeindrucken zeichneten sich unzählige kleine Bronzebeschläge ab, die auf einem Pferdezuggeschirr, einem Joch und Holzteilen angebracht waren.

Freilegung

Endzustand des freigelegten Grabes im März 2020. Konstruktionsskizze für die Zusammenführung der einzelnen Teile des Grabes in der neuen Dauerausstellung der Archäologischen Staatssammlung (Foto: ASM: St. Friedrich)
Endzustand des freigelegten Grabes im März 2020. Konstruktionsskizze für die Zusammenführung der einzelnen Teile des Grabes in der neuen Dauerausstellung der Archäologischen Staatssammlung (Foto: ASM: St. Friedrich)

Die millimeterweise Abtragung und Freilegung der einzelnen Teile dauert mehr als vier Jahre. Jedes separaten entnommene Objekt wurde zu einem weiteren Teilprojekt mit aufwändiger Restaurierung und Dokumentation. Unzählige Proben kleinster Erdschichten wurden entnommen und analysiert. Aus den so gewonnenen Einzelinformationen muss jetzt in einem Forschungsprojekt ein Gesamtbild rekonstruiert werden. Der hier im Bild gezeigte Endzustand der Präparierung des Grabes vermittelt in der zukünftigen Dauerausstellung einen einzigartigen Einblick in die frühe Eisenzeit, ca. 660-620 v. Chr. Im Bild gut sichtbar sind die Holzteile, Jochfragmente und Lederriemen, die durch an Ort und Stelle konservierten grün korrodierten winzigen Beschlagreste erhalten blieben.

Dokumentation

3D-Gesamtdokumentation der Bestattung und seiner Beigaben(Darstellungen ASM: i3 Hochschule Mainz, Chr. Mazzola)
3D-Gesamtdokumentation der Bestattung und seiner Beigaben(Darstellungen ASM: i3 Hochschule Mainz, Chr. Mazzola)

Die Dokumentation der während der Freilegung analysierten Details erfolgte mit verschiedenen Medien. Grundlage der zentralen Erfassung waren verschiedene 3D-Scans, die eine zehntelmillimetergenaue Zuordnung aller Objekte erlaubt.  Dies erfolgte auf verschiedenen Ebenen, so dass die räumliche Beziehung der Objekte zueinander bei der abschließenden wissenschaftlichen Auswertung eine Gesamtrekonstruktion des ursprünglichen Aussehens der Grabkammer ermöglicht.

In Detailplänen werden die Ergebnisse der Untersuchung organischer Reste einzelner Präparationen erfasst. Daraus lassen sich auch Einzelheiten zur Kleidung des Toten und seiner Aufbahrung ableiten.

Analysen

Holzbestimmung (Foto: ASM: G. v. Looz; Chr. Mazzola, H. Schoch)
Holzbestimmung (Foto: ASM: G. v. Looz; Chr. Mazzola, H. Schoch)

Viele Details des Grabes ergeben sich erst nach naturwissenschaftlichen Untersuchungen. Die Erforschung wird dadurch zu einem Teamwork unterschiedlichster Spezialisten, die Beiträge zur Bestimmung von Pflanzen, Hölzer, Speiserückstände oder Textilien geben. Bei vielen Ausgrabungen gehen aufgrund der schlechten Erhaltungsmöglichkeit besonders diese organischen Reste verloren. Sie sind jedoch ein wesentlicher Aspekt für die Rekonstruktion der Lebenswelt. Im Grab von Otzing lassen sich durch die Analysen detailliert Informationen über die Konstruktion und Einrichtung der Grabkammer, die Aufbahrung, Kleidungsreste, Leder und Konstruktionsdetails von Werkzeugen oder Geräte gewinnen.

Rekonstruktionen

Modelle des ursprünglichen Aussehens (Foto: ASM: Forschungsinstitut für Edelmetalle und Metallchemie Schwäbisch-Gmünd; St. Gussmann)
Modelle des ursprünglichen Aussehens (Foto: ASM: Forschungsinstitut für Edelmetalle und Metallchemie Schwäbisch-Gmünd; St. Gussmann)

Archäologische Eisenfunde sind häufig bis zur Unkenntlichkeit korrodiert. Grundlage einer fachgerechte Freilegung und einer abschließenden Rekonstruktion sind Röntgenuntersuchungen, die nicht oder nur schwach korrodierte Zonen im Inneren der Rostklumpen sichtbar machen. Eine dreidimensionale Darstellung ist durch Computertomographie möglich. Das Beispiel zeigt ein Werkzeugset, das dem Toten mitgegeben wurde. Erkennbare Details der  Werkzeuge wurden zunächst modelliert. In einem zweiten Schritt wurden die Werkzeuge dann anhand dieser Modelle nachgeschmiedet und können nun auf ihre Funktionstüchtigkeit getestet werden.

Wer war „Otzi“?

Besuch von Gemeindevertretern aus Otzing, Bürgermeister Johannes Schmid und Staatsminister Bernd Sibler während der Restaurierungsarbeiten im Oktober 2014  (Foto: ASM: St. Friedrich)
Besuch von Gemeindevertretern aus Otzing, Bürgermeister Johannes Schmid und Staatsminister Bernd Sibler während der Restaurierungsarbeiten im Oktober 2014 (Foto: ASM: St. Friedrich)

Die Erforschung des Keltengrabes von Otzing ergab eine Fülle von Details, die den Verstorbenen heute wieder ein Stück lebendig machen. Der etwa 20-30 Jahre alte Mann war aufgrund einer Erkrankung stark eingeschränkt und konnte kaum laufen. Trotzdem wurde er mit allen Ehren als hochstehende Persönlichkeit bestattet und stand trotz seiner Behinderung auch zu Lebzeiten an der Spitze seiner Gemeinschaft. Pferdegeschirr, Zuggeschirr und beschlagenen Wagenteile bezeugen Wohlstand. Der Dolch, den er bei sich hatte, war das Statussymbol der Führungselite. Das zahlreiche Geschirr war dazu gedacht, auch im Jenseits weiter seine Rolle als Gastgeber ausüben zu können.

Weitere Informationen:

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