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Thema Künstliche Intelligenz
er Traum von maschineller Kreativität und computer-
basierter Kunst hat eine lange Tradition, deren Ur-
sprünge bis Mozart zurückverfolgt werden können. Findige
Menschen wie Harold Cohen haben bereits in den 70er-Jahren
mit der Entwicklung des Computersystems
Aaron
begonnen,
das kreativ anmutende Bilder erzeugte. Inzwischen kompo-
nieren Softwaresysteme bei SONY in Paris Musik im Stil der
Beatles oder imStil von Johann Sebastian Bach. Wieder andere
Systeme schreiben Drehbücher, die verfilmt werden, oder Ge-
dichte, die in Wettbewerben Preise gewinnen. Die Bedeutung
der Kreativität beschränkt sich nicht auf die Kunst, sondern
spielt in derWissenschaft und der Technik bei Innovationspro-
zessen eine große Rolle, aber auch bei der Suche nach Problem-
lösungen in vielen alltäglichen Situationen.
Die computerbasierte Kunst und die Frage nach derMög-
lichkeit, kreative Prozessemaschinell zu implementieren, erlebt
dieser Tage eine Renaissance, angetrieben durch die Euphorie,
die die vielbeachteten Fortschritte in der künstlichen Intelligenz
(KI) im Allgemeinen und bei den tiefen neuronalen Netzen im
Besonderen hervorrufen. Diemoderne KI macht scheinbar alles
möglich, und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis intelligente
Softwaresysteme alle menschlichen Fähigkeiten erlernt haben.
Ist die menschliche Kreativität eine letzte, uneinnehm-
bare Bastionmenschlicher Intelligenz?Wird ein KI-Systemder
Zukunft auch in der Lage sein, »wirklich« kreativ zu sein und
wie weit sind wir heute bereits auf diesemWeg?
Formen der Kreativität
Um über maschinelle Kreativität sprechen zu können, müssen
wir uns zunächst ein Verständnis für die menschliche Kreativi-
tät erarbeiten. Die britische Informatikerin Margaret Boden
hat sich aus diesem Grund ausführlich mit der maschinellen
Kreativität beschäftigt und dabei drei verschiedene Formen
der (menschlichen) Kreativität identifiziert – kombinatorische,
explorative und transformierende Kreativität. Mit diesen drei
Formen sind wir in der Lage, den kreativen Prozess besser zu
klassifizieren und zu verstehen.
Kombinatorische Kreativität
erzeugt neue Artefakte durch die
ungewohnte Kombination bekannter Ideen. Dies funktioniert
durch Assoziationen zwischen Ideen, die zuvor nur indirekt
verbunden waren. Die Erfindung des Rollkoffers ist dafür ein
Beispiel. Die Analogie ist eine weit verbreitete Form der kom-
binatorischen Kreativität, die Ideen mit einer gemeinsamen
konzeptionellen Struktur verbindet.
Explorative Kreativität
beruht auf der Existenz eines kul-
turell geprägten und akzeptierten Stils oder »konzeptionellen
Raums«. Der Raum wird definiert (und begrenzt) durch einen
Satz von generativen Regeln. Normalerweise sind diese Regeln
weitgehend oder sogar ganz implizit gegeben. Jedes Artefakt,
das durch die Befolgung dieser Regeln produziert wird, passt
zu dem betreffenden Stil. In der Barockmusik ist die Fuge ein
Beispiel für einen derartigen konzeptionellen Raum mit vor-
gegebenen Regeln. Hingegen sind die Lieder der Beatles oder
die Gemälde von van Gogh in stärkeremMaße durch implizite
Regeln charakterisiert, die wir als Stil bezeichnen. In der explo-
rativen Kreativität bewegen wir uns durch den konzeptionellen
Raumeines Stils, umherauszufinden, was dort sowohl das unge-
nutzte kreative Potenzial als auch die Grenzen des betreffenden
Stils ausmacht. Die explorative Kreativität ändert keine der
ursprünglichen Stilregeln, aber die Exploration und das damit
verbundene Wissen über die Grenzen und Regeln des Raumes
können zu transformierender Kreativität führen.
Die
transformierende Kreativität
ändert den zuvor ange-
sprochenen konzeptionellen Raum oder Stil, in dem eine oder
mehrere der Raumbegrenzungen überschritten oder aufge-
geben werden. Als Ergebnis können dann Artefakte generiert
werden, die vor dieser Änderung einfach nicht generiert werden
konnten. Die transformierende Kreativität gebiert Artefakte,
die nicht nur neu, sondern grundlegend anders sind als alles
Vorhergegangene. Um nochmals auf die Domäne der Musik
zurückzugreifen, wären Arnold Schönbergs 12-Ton-Musik oder
der modale Jazz von Miles Davis ein Beispiel für eine derartige
Transformation, da die Regeln der funktionsharmonischenMu-
sik außer Kraft gesetzt und durch alternative Gestaltungsregeln
ersetzt wurden.
Überraschenderweise gilt die kombinatorischeKreativität
derzeit als die Kreativitätsform, die am schwierigsten in einem
technischen System realisiert werden kann. Der dem kreativen
Menschen zur Verfügung stehende Raum an möglichen Asso-
ziationen ist (noch) nicht formal in den Griff zu bekommen.
D
Text: Klaus Diepold
Bilder: Marc Gumpinger
Algorithmische Formation gelb,
2018, Öl auf Leinwand, 138 × 100 cm